Manchmal könnte man annehmen das es nicht so darauf ankommt, was in unserem Essen drin ist, sondern auf das was nicht drin ist. Seit 2014 ist es Pflicht für alle, die Lebensmittel verkaufen, den Kunden über enthaltene Allergene, also Inhaltsstoffe, die allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten hervorrufen können, zu belehren. Zu diesen deklarationspflichtigen Inhaltsstoffen gehören z.B.
Gluten, Laktose, Milcheiweis, Hühnerei, Soja, Erdnüsse, Fisch, Krebstiere, Schalenfrüchte, Weichtiere, Lupine, Sesam, Senf, Schwefeldioxid oder Sellerie.
Einerseits ist dies durchaus begrüßenswert, da allergische Reaktionen durchaus bedrohlich sein können – Wenn man denn an einer entsprechenden Allergie oder Lebensmittelunverträglichkeit leidet.
Während man aber eher selten von einer Sellerieunverträglichkeit hört, sind Gluten-frei und Laktose-frei zwei Attribute, die man in letzter Zeit immer häufiger hört und die vermuten lassen, dass Gluten- und Laktoseintolleranz entweder zwei Leiden sind, die verstärkt um sich greifen, oder das gerade eine ernährungsmäßige Hexenjagd abgehalten wird.
Laktose
Laktose ist Milchzucker und kommt in verschiedenen Anteilen in der Milch von Tieren, aber auch in menschlicher Muttermilch vor. Problematisch an Laktose ist nun, dass es sich dabei um einen Zweifachzucker (aufgebaut aus Glucose und Galactose) handelt, der vom menschlichen Darm nicht aufgenommen werden kann.
Säugetier | Anteil | Milchprodukte (Kuh) |
Anteil Lactose |
|
---|---|---|---|---|
Esel | 7,4 % | Magermilch (0,3 % Fett) |
4,80 g | |
Mensch | 7,1 % | fettarme Milch (1,5–1,8 % Fett) |
4,80 g | |
Pferd | 6,2 % | Vollmilchpulver | 35,10 g | |
Kamel | 5,0 % | Magermilchpulver | 50,50 g | |
Büffel | 4,8 % | Kondensmilch | 9,32 g | |
Katze | 4,8 % | Schlagsahne | 3,27 g | |
Schaf | 4,8 % | Sauerrahm | 3,0 g | |
Kuh | 4,6 % | Molke | 4,70 g | |
Yak | 4,6 % | Joghurt (3,5 % Fett) | 3,19 g | |
Ziege | 4,3 % | Vollmilchschokolade | 2,0 g | |
Rentier | 2,8 % | Vollmilch | 4,7 g |
Die Konsequenz: Da unser Darm von einem ganzen Spektrum an Mikroorganismen besiedelt ist, die Laktose sehr gut aufnehmen und verarbeiten können, fängt es also an in uns zu gähren. Da hierbei eine ganze Menge an Gasen entsteht kommt es zu Blähungen und gleichzeitig entstehende Milchsäure wirkt abführend, was sich im Extremfall in Durchfall äußern kann.
Dem aufmerksamen Leser sollte sich jetzt die Frage stellen: Warum können Säuglinge (laktosehaltige) Muttermilch verdauen, ohne solch unschöne Konsequenzen zu erleiden ? Des Rätsels Lösung: Das Enzym Laktase, welches Laktose in die einfach resorbierbaren Bausteine Glucose und Galactose aufspaltet. Leider geht die Produktion dieses Enzyms im Erwachsenenalter stark zurück. Lediglich in Populationen, die seit langer Zeit Weidewirtschaft betreiben, blieb die Fähigkeit zur Laktosespaltung erhalten. Vermutlich weil sie dadurch einen Selektionsvorteil durch Zugriff auf eine zusätzliche hochwertige Nahrungsquelle wie Milch besaßen. So zeigten evolutionsbiologische Untersuchungen an Skeletten aus der Jung- und Mittelsteinzeit (7800 – 7200 Jahre alt !), dass die damaligen Menschen noch nicht in der Lage waren Laktose zu verdauen. Auch der bekannte Steinzeitmensch Ötzi war laktoseintollerant… Erst im frühen Mittelalter können die ersten laktosetolleranten Menschen nachgewiesen werden.
Dennoch stellt diese Fähigkeit nach wie vor eine Besonderheit der menschlichen Entwicklung dar. Während Nordwest-Europäer überwiegend Laktose vertragen (80 – 98 %; Deutschland ca. 85 %), sind es in Südostasien nur bescheidene 2 %.1
Nun entsprechen 15 % der Bevölkerung immerhin ca. 12,6 Mio. Einwohnern, für die es gut zu wissen ist, dass für sie ein reiches Sortiment an laktosefreien Produkten existiert. Von Soja und Mandelmilch bis hin zu enzymatisch behandelter Milch, in der die Laktose entfernt wurde. Dennoch sind laktosefreie Produkte mittlerweile auch ein Lifestyle Produkt. So rekrutieren sich die Konsumenten dieser Produkte zu 80 % aus der Menge der laktosetolleranten Milchfreunde, wie eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) herausgefunden hat.2 Dabei hat man keinen wirklichen Vorteil davon. Laktose fördert immerhin die Calciumaufnahme. Und teurer sind die laktosefreien Produkte auch.
Gluten
Kommen wir zum berühmt berüchtigten Gluten (oder Klebereiweiß). Dieses Stoffgemisch aus Proteinen kann in den Körnern bestimmter Getreidesorten wie z.B. Weizen gefunden werden und ist beim Kochen und Backen von entscheidender Bedeutung. Wird Gluten mit Wasser vermischt (z.B. beim Anteigen von Mehl), bildet es eine klebrige und elastische Masse und verleiht damit dem Mehl seine Backfähigkeit, d.h. Gas im Teig einzuschließen. Nur mit Gluten ist es möglich Gebäck in Form von Laiben zu backen. Es sorgt also dafür, dass der Teig seine Form behält. Läßt man es weg, dann ähnelt das Resultat eher einem Fladenbrot.
Was hat es nun mit dem schlechten Ruf des Glutens auf sich ? Zunächst mal vorneweg: Er ist größtenteils unbegründet. Denn: Nur etwa 0.3 % der Weltbevölkerung (1 in 270 Menschen)3 leidet an Glutenintoleranz (Zöliakie).
Dennoch hört man immer wieder von den Gefahren die von Weizen im Allgemeinen und Gluten im Speziellen ausgehen. Fakt ist, das die ganze Angelegenheit relativ kompliziert ist und viele damit verbundenen Zusammenhänge Gegenstand der Forschung sind. Es kann aber als relativ gesichert angesehen werden, dass genetische, also vererbbare Faktoren, eine wichtige Rolle spielen. Liegen diese nicht vor, handelt es sich also wahrscheinlich nicht um Zöliakie, sondern um ein anderes Phänomen.
Wie ist es dann aber zu erklären, dass viele Menschen, die auf eine Gluten-freie Ernährung umgestellt haben, einen positiven Effekt auf ihr Wohlbefinden verspürt haben ?
Man stelle sich ein Weißbrot aus dem Supermarkt vor… Im ungünstigen Fall mit einer erschreckend langen Liste an Inhalts- und Zusatzstoffen. Gebacken in kürzester Zeit aus gebleichtem Mehl.
Dieses wird nun, zwecks Zubereitung eines Sandwichs, mit Halbfettmargarine und einem Dip aus dem Lebensmitteldiscounter bestrichen oder konservierungsmittelhaltigen Eiersalat belegt und zwecks Abtransport am nächsten Morgen in Frischhalte gewickelt. Die Nacht verbringt das Sandwich im Kühlschrank, aber den Weg zur Arbeit und den Rest des Vormittag verbringt es dann wenn es suboptimal läuft bei Raumtemperatur, während es langsam vor sich hin fermentieren kann. Schließlich wird es im Eilverfahren verschlungen und mit einer Tasse des Kaffees, der den ganzen Morgen schon auf der Heizplatte in der Teeküche verbracht hat herunter gespült, was unser Magen mit einem mulmigen Gefühl von leichter Blümeranz mit Anflügen von Sodbrennen quittiert. Unser Fazit: Verdammt, die glutenfreien Ernährungsapostel aus dem Internet haben doch recht…
Stellt man nun seine Ernährung entsprechend auf glutenfrei um und gibt sich voll der Paläodiät hin, stellt sich ein verbessertes Wohlbefinden ein. Aber sehr wahrscheinlich nicht, weil wir das Weizen-haltige Brot weggelassen haben, sondern weil wir auch eine ganze Latte an Zusatzstohfhaltigen Lebensmitteln weggelassen haben und wesentlich bewusster auf unsere Ernährung achten und uns nicht mehr wie ein Müllschlucker in rasendem Tempo zu Unzeiten vollfuttern. Der von Vielen beobachtete Abnehmeffekt bei Glutenverzicht kann darüberhinaus auch daher kommen, dass viele Getreideprodukte auch reich an Kohlenhydraten sind, die sich durch ihre Kalorien auch auf unsere Figur auswirken.
Zusätzlich gibt es ein weiteres ganz interessantes psychologisches Phänomen: den Nocebo-Effekt
eine scheinbar negative Wirkung durch ein Arzneimittel oder sonstigen äußeren Einfluss. Er bezeichnet eine Reaktion auf ein medizinisches Präparat ohne spezielle Wirkung bzw. auf die gerüchteweise die Gesundheit oder das Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigende Wirkung einer umweltverändernden Maßnahme.
Dabei spielt die Erwartungshandlung des Probanden – hier der Person mit einer vermeintlichen Lebensmittelunverträglichkeit – eine große Rolle. Bedeutet: Wenn man ein Lebensmittel verzehrt, von dem man sich sicher ist, dass man es nicht verträgt, so kann eine negative Wirkung eintreten auch wenn eine entsprechende Unverträglichkeit gar nicht vorhanden ist. Wenn man also im Alltag von diversen (mitunter prominenten) Ernährungspäpsten vorgebetet bekommt, dass uns ein bestimmtes Lebensmittel krank macht, kann es tatsächlich soweit kommen, dass wir das Lebensmittel plötzlich tatsächlich nicht mehr vertragen.
Man ist schnell bei der Hand der Nahrungsmittelindustrie vorzuwerfen mit der Manipulation unserer Nahrungsmittel ihren Gewinn auf kosten unserer Gesundheit zu maximieren (was in manchen Fällen tatsächlich zutreffen kann), aber man sollte gleichzeitig nicht vergessen, dass man mit Produkten und Programmen zu gesunder Ernährung viel Geld verdienen kann.
Allein für lactosefreie Lebensmittel lag der Umsatz im Jahr 2014 bei 285 Mio. EUR und für glutenfreie Lebensmittel bei 105 Mio. EUR.4 Oder z.B. das Buch Weizenwampe: Warum Weizen dick und krank macht des amerikanischen Mediziners William Davis, dass dem Anti-Weizen und Anti-Gluten Hype ordentlich Vorschub geleistet hat, ein weltweiter Bestseller.
Natürlich soll dies nicht heißen, dass alle Lebensmittelunverträglichkeiten nur eingebildet sind. Eine tatsächliche Zöliakie ist eine durchaus ernste Erkrankung. Allerdings sind viele vermeintliche Unverträglichkeiten nicht medizinisch nachgewiesen, sondern beruhen auf individuellen Beobachtungen. Und so etwas ist durchaus eine komplexe Angelegenheit, da im Alltag eine Vielzahl an Faktoren einen Einfluss auf unser subjektives Wohlbefinden haben können. Ein Lebensmittel oder eine ganze Mahlzeit enthält eine Vielzahl an Inhaltsstoffen, die unser Wohlbefinden beeinflussen können. Letztendlich können auch Zubereitung oder die Bedingungen und Umstände unter denen wir unser Essen zu uns nehmen einen Einfluss haben. So kann Weizen, der teilweise auch über das Gluten hinaus verteufelt wird, ungesund sein, wenn er unsachgemäß zubereitet wird. Weizen enthält z.B. Phytinsäure, welche die Aufnahme von Mineralien wie Calcium, Magnesium und Zink behindert, wenn wir den Weizen umfermentiert oder roh zu uns nehmen.
In der Komplexität des Problems liegt auch ein Grund, warum bestimmte Diäten und Ernährungskonzepte, wie Gluten-frei, so erfolgreich sind: Sie bieten eine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Ohne Gluten hin zu einem schlanken Bauch, reiner Haut und mehr Wohlbefinden.
Überhaupt werden Produkte, die das Prädikat frei von xxx tragen insgesamt als hochwertiger empfunden. Es kommt nicht mehr drauf an, was an guten Zutaten drin ist, sondern eher was alles nicht drin ist.
Dies kann aber mitunter ein Trugschluss sein. Denn lässt man z.B. den Weizenkleber weg, dann muss der Zusammenhalt des Produkts ja irgendwoanders herkommen. Dies lässt sich z.B. mit einem Mehr an Zucker und Fett (die auch einen großen Einfluss auf die Textur eines Lebensmittels haben) erreichen.5Fazit: Schlecht für die Figur.
Letztendlich sind Getreideprodukte, in ihrer Vollkornvariante, durch ihren Gehalt an Ballaststoffen, durchaus einer gesunden Ernährung zuträglich. Kurzum: Hat man keine nachweisbare Unverträglichkeit, sollte man auch nicht darauf verzichten. Wenn man es nicht übertreibt, darf man sich also die morgendliche Frühstückssemmel oder das alkoholfreie Weizenbier nach dem Sport beruhigt schmecken lassen !
- https://de.wikipedia.org/wiki/Laktoseintoleranz#Weltweit ↩
- https://lebensmittelpraxis.de/warenkunden/20578-warenverkaufskunde-laktosefreie-milchprodukte.html ↩
- R. Keller: Klinische Symptomatik „Zöliakie, ein Eisberg“. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Heidelberg 151.2003, 706. ↩
- https://www.dge.de/presse/pm/selbstdiagnose-unvertraeglichkeit/ ↩
- https://utopia.de/ratgeber/gluten/ ↩