Kürzlich erreichte mich eine Frage aus der Leserschaft. Anne M. möchte wissen:
Ich fände es eher interessant zu erfahren, warum man Erdbeeraroma aus Schimmelpilzen herstellt[…] Ist das gesund & richtig dermaßen in den Chemiebaukasten zu greifen?
In der Tat wirkt es befremdlich, wenn der Erdbeergeschmack aus unserem Joghurt nicht aus einer Erdbeere kommt, sondern aus einem Material gewonnen wird, dass man gemeinhin als nicht essbar einstufen würde. Tauchen wir also ein in die bunte Welt der Aromen.
Was sind Aromen ?
Wie für Vieles in der Lebensmittelbranche gibt es auch für Aromen eine EU Verordnung (Aromenverordnung (EG) Nr. 1334/2008), die genau regelt, was ein Aroma eigentlich genau ist:
„Aroma“: Erzeugnis,
i) das als solches nicht zum Verzehr bestimmt ist und Lebensmitteln zugesetzt wird, um ihnen einen besonderen Geruch und/oder Geschmack zu verleihen oder diese zu verändern;
Soweit erstmal ganz einleuchtend und keine große Überraschung. Wesentlich spannender wird es, wenn wir uns die Unterteilung der verschiedenen Aromen angucken: Aromastoffe, Aromaextrakte, thermisch gewonnene Reaktionsaromen, Raucharomen, Aromavorstufen und sonstige Aromen.
Für uns interessant sind die ersten beiden Kategorien plus das Raucharoma, da dies primär die Stoffe sind, die unserem Essen zugesetzt werden.
Aromastoffe sind einzelne Substanzen, die entweder natürlichen oder synthetischen Ursprungs sein können.
Was für Aromen gibt es ? Wie werden Aromen eingeteilt ?
Um uns das Ganze näher zu veranschaulichen, wollen wir beim Beispiel Erdbeere bleiben:
- Erdbeerextrakt:
Wie der Name bereits suggeriert, werden hier Erdbeeren genommen und mittels eines physikalischen Verfahrens (z.B. Extraktion mit einem Lösungsmittel oder Destillation) die enthaltenen Aromastoffe gewonnen. Wir erhalten also keinen einzelnen Stoff, sondern ein komplexes Gemisch, 100 %ig aus der Erdbeere gewonnen. - natürliches Erdbeeraroma:
Hier müßen es nicht mehr 100 %, sondern nur noch 95 % sein. Was ist nun mit den übrigen 5 % ? Nun ist es tatsächlich so, dass alle Naturerzeugnisse einer gewissen natürlichen Qualitätsschwankung unterliegen. Nicht jede Erdbeere schmeckt gleich. Ähnliches kennen wir vom Wein, bei dem verschiedene Lagen und Rebsorten auch unterschiedliche Geschmacksnuancen besitzen. Da der Verbraucher aber bei Fertigprodukten eine gleichbleibende Qualität haben möchte, ist es erlaubt zur geschmacklichen Feinabstimmung weitere Aromastoffe zuzusetzen. Das Aroma muss zwar deutlich nach der Erdbeere schmecken, bildet deren volles Geschmacksspektrum aber nicht vollumfänglich ab. Ebenso gibt es auch den Fall, dass der natürliche Extrakt gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe besitzt, so z.B. Citrusöl, dem die Terpene α-Pinen und Limonen entzogen werden. - natürliches Aroma:
Aufgemerkt ! Hier fehlt jetzt der Name des Lebensmittels, dessen Geschmack nachgebildet wird. Zwar wird das Aroma nach wie vor aus natürlichen Quellen gewonnen, aber unsere beispielhafte Erdbeere muss nicht zwingend daran beteiligt gewesen sein. Der Name fällt insbesondere weg, wenn er den Geschmack des Aromas nicht zutreffend beschreibt. Tatsächlich kann man heutzutage mithilfe von Mikroorganismen Schlüsselkomponenten des authentischen Aromas nachbilden.
Beispiel: Vanillin, die Hauptkomponente im Vanillegeschmack. Hier kann man zum Beispiel auf Reis zurück greifen, der unter anderem Ferulasäure enthält, die von z.B. bestimmten Bakterien der Gattung Streptomyces zu Vanillin umgebaut wird. Die auf biotechnologischem Weg gewonnenen Aromastoffe lassen sich dann von Bakterien und Fermentationsbrühe abtrennen und hochrein isolieren.
Synthetisches Aroma:
Hier darf jetzt der Chemiker zeigen, was er kann. Sprich: Der Aromastoff wird nicht aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen gewonnen, sondern im Labor hergestellt. Beim naturidentischen Aroma handelt es sich um den selben Stoff, den man auch in der Natur finden kann. Liegt er in hochreiner Form vor, kann man nicht mehr unterscheiden, ob er extrahiert wurde oder synthetisch hergestellt wurde. Es ist das selbe Molekül. Beispiel Vanillin: Es kann wie wir gesehen haben aus Vanilleschoten oder aus Bakterienkulturen „natürlich“ isoliert werden oder als Resultat organischer Synthesechemie entstehen, hier z.B. in einer Variante die beim Chemiekonzern Rhône-Poulenc zum Einsatz kam:
Bleiben noch die künstlichen Aromen, die mit dem natürlichen Vorbild bis auf einen ähnlichen Geschmack, nur noch wenig gemein haben. Beispiel: Ethylvanillin, welches sich vom natürlichen nur dadurch unterscheidet, dass eine Methylgruppe (-CH3) durch eine Ethylgruppe (-CH2CH3) ausgetauscht wurde, dadurch aber bis zu 4-mal intensiver schmeckt als natürliches Vanillin. Übrigens, wenn man nur den simplen Begriff Aroma ließt, dann ist es fast sicher, dass es künstliches Aroma ist, da alle „höhenwertigen“ Aromen auch als als solche ausgewiesen werden, als sich mit den synthetischen unter einem Begriff gemein zu tun.
Warum schmecken Erdbeeren anders als aromatisierte Produkte mit Erdbeere ?
Tatsächlich sind Geschmack und Geruch der originalen unverfälschten Lebensmittel eine sehr komplexe Angelegenheit. Über 10.000 Aromastoffe hat man in der Natur identifiziert und allein der authentische Geschmack der Erdbeere wird von mehr als 300 verschiedenen Stoffen hervorgerufen. Wer einen ungefähren Eindruck dieser molekularen Vielfalt gewinnen will, kann einen Blick in diesen Wikipedia Artikel werfen, in dem diverse Schlüsselkomponenten in Fruchtaromen aufgelistet werden.
Übrigens… Wo wir schon von Komplexität sprechen. Es gibt Moleküle, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Sie scheinen sich wie ein Ei dem anderen zu gleichen, nur eben spiegelverkehrt. Und das kann interessante Auswirkungen auf ihre biologische Eigenschaften haben: Nehmen wir den Aromastoff Carvon – in der Form (S)-(+)-Carvon riecht dieser nach Kümmel, während (R)-(-)-Carvon das Aroma von Minze besitzt !
Daher beschränkt man sich auf einige wenige Schlüsselaromen, die dann von Aroma-Experten zu einer speziellen Rezeptur vermischt werden um den natürlichen Geschmack nachzubilden oder aber die passende Geschmacksnote für ein Produkt zu kreieren.
Wieso nicht nur natürliches Erdbeeraroma verwenden ?
Wenn schon Erdbeeraroma, dann bitte natürliches Erdbeeraroma, mag man sich denken. Hier stößt man auf das Problem, das der Gehalt an Aromastoffen in einer Erdbeere sehr gering ist. Man geht von einem Gehalt von etwa 0.01 % aus. Bedeutet: Für 1 kg Aroma würde man 10.000 kg Erdbeeren benötigen. Entsprechend kann man sich vorstellen, das der Bedarf an Erdbeeraroma mit Früchten alleine nicht zu decken wäre. Daher behilft man sich mit Tricks. Eben z.B. Mikroorganismen und Schimmelpilze einzusetzen, die natürliches Aroma auf billigem Weg erzeugen und das man nach entsprechender Aufreinigung nicht mehr vom aus der Erdbeere extrahierten Einzelstoff unterscheiden kann.
Erdbeer Aroma aus Sägespänen ? Echt jetzt ?
Man hört immer wieder, dass Erdbeer- oder Himbeeraroma aus Sägespänen gewonnen und dann als natürliches Aroma deklariert wird. Dies ist jedoch offenbar eine Urban Legend. Wie wir gesehen haben, darf sich nur solche Stoffe natürliches Aroma nennen, die mittels physikalischer Prozesse aus einem Naturprodukt wie Pflanzen und Tieren gewonnen oder mittels Mikroorganismen erzeugt wurden. Das Gerücht stammt daher, dass die Erdbeere auch in geringen Mengen Vanillin enthält, welches sich auf chemischen Wege aus Lignin synthetisieren lässt. Lignin wiederum gewinnt man aus Holz. Da hier aber chemische Prozesse benutzt werden, währen wir bestenfalls bei naturidentischem Aroma.
Warum werden Aromen verwendet ?
Bleibt also die Frage nach dem Warum. Eine Antwort kann zum Beispiel sein: Um eine bittere Pille zu versüßen. Schon mal darüber nachgedacht wie Zahnpasta z.B. schmecken würde, wenn man den Pfefferminzgeschmack weglässt ? Putzkörper (aka Schmirgel), Schaumbildner und andere Funktionsstoffe… Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut schmeckt. Scheint also ein legitimer Einsatzort zu sein.
Standardisierung von Geschmack spielt gewiss auch eine große Rolle. Wenn man in den Supermarkt geht, um sein Erdbeerjoghurt zu kaufen, dann erwartet man, dass dieses immer gleich schmeckt. Da das Aroma natürlicher Zutaten einer gewissen Schwankungsbreite unterworfen ist, kann man durch Zusatz von externer Aromen ein für das jeweilige Produkt immer gleichen Geschmack gewährleisten. Der Aufbau und die Pflege einer Marke spielt hier auch eine Rolle. Es gibt viele Orangenlimonaden, die alle ihre geschmacklichen Charakteristika besitzen und dementsprechend verschiedene Leute unterschiedlich stark ansprechen. Intensiver Geschmack ist auch appetitanregend und daher auch verkaufsfördernd.
Hier kommen wir dann langsam in einen Bereich wo es bedenklich wird. Intensiver Geschmack kann auch diverse Defizite des Lebensmittels kaschieren. So kann ein Produkt nur geringfügig mehr Nährwert als ein Becher Tapetenkleister besitzen (da aus billigsten Rohstoffen hergestellt), aber trotzdem frisch fruchtig schmecken. Besonders perfide wird es, wenn den Kleisterbecher Bilder von gesundem Obst zieren.
In unserem Zeitalter der Sparfüchse, wo Otto-Normalverbraucher nicht mehr bereit ist mehr Geld für qualitativ hochwertige Lebensmittel auszugeben, darf man sich dann ob solcher Phänomene nicht wundern, wenn alles billig sein muß.
Wie steht es mit Gesundheitsrisiken ?
Eine schwierige Frage, die nicht einfach und vermutlich auch nicht pauschal beantwortet werden kann. Positiv zu vermerken ist, dass es in der EU mit der EFSA (European Food Safety Agency) und in Deutschland mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung Gremien gibt, die sich mit dieser Frage für die einzelnen Aromen beschäftigen und bedenkliche auch aus dem Verkehr ziehen und/oder Grenzwerte festlegt.
Grundsätzlich können auch natürliche Aromastoffe gesundheitsschädlich sein, wie wir oben für Limonen in natürlichem Citrusöl gesehen haben. Für künstliche Aromen stellt sich die Frage sowieso. Hier gilt, wie bei vielen anderen Dingen auch, dass die Dosis das Gift macht.
Während also geringe Dosen unschädlich sind, beginnen jenseits eines Grenzwerts die Probleme. Somit ist es also auch ein Stück weit unerheblich, wo das Aroma hergekommen ist, wenn man es im Endprodukt auf bedenklich hohe Konzentrationen anreichert. Gottseidank sind Aromen sehr ergiebig, so dass also schon geringe Mengen für ein deutliches Geschmacksresultat ausreichen.
Aber man darf es nicht übertreiben !
Richtig unübersichtlich wird es, wenn die Aromastoffe zum Zwecke der besseren Dosierbarkeit und/oder Verarbeitung in Trägersubstanzen eingebettet sind:
Wir sehen, dass ein solches Aromapräparat, wie es z.B. für die Zubereitung von Getränken erhältlich ist, zu 4/5 aus Trägersubstanzen besteht. Diese Hilfsstoffe werden aber nicht unter den Inhaltsstoffe des Endprodukts aufgeschlüsselt. Hier taucht lediglich die Bezeichnung Aroma auf. Während die im aktuellen Beispiel aufgelisteten Stoffe als unbedenklich gelten und auch nur in geringen Mengen (etwa 1 mL pro 1000 mL) in das Endprodukt kommen, bleibt ein ungutes Gefühl. Hier kann man nur hoffen, dass unsere staatlichen Kontrollorgane ein wachsames Auge haben, um schwarze Schafe rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen.
Was nun ?
Wer letztendlich auf Nummer sicher gehen will, der meidet Fertigprodukte und setzt auf selbstzubereitete Speisen aus frischen Lebensmitteln. Dies erfordert natürlich ein gewisses Quantum an Mehrarbeit. Hefeteig ansetzen und die Pizza selber belegen anstelle eine tiefgekühlte in den Ofen zu schieben. Orangen pressen und mit Sprudelwasser mischen anstelle eine Dose Limo aufzureißen. Oder aber eben wirklich die Produkte zu suchen, die auf echte Erdbeeren setzen, aber eben ein paar Euros mehr kosten.
Ein Gedanke zu “Wenn das Joghurt lügt…”