Wenn man so wie ich sich jenseits der 30 bewegt, kommt man nicht umhin festzustellen, dass im Bekanntenkreis nicht wenige Nachwuchs bekommen haben. Und trudelt mal wieder die frohe Kunde eines neuen Erdenbürgers ein, dann ist die Frage nach dem Vornamen immer eine interessante. Denn was den Eltern als schön und als Ausdruck von Individualität und der Einzigartigkeit ihres Kindes gilt, kann in den Augen Anderer merkwürdig erscheinen und dem Kind, welches immerhin fortan damit leben muss, für Verdruss sorgen.
Gar nicht lange ist es z.B. ist es her, dass im Dresdner Diakonissenkrankenhaus ein kleiner Junge zur Welt kam, dessen Name in der Neugeborenen-Galerie des Krankenhauses als Sturmhorst Siegbald Torsten ausgewiesen war. Und da der Name oft Programm ist, entfesselte der Vorname Sturmhorst einen wahren Sturm der Entrüstung. Auch als sich dann herausstellte, dass dies nur ein Schreibfehler und der korrekte Name Sturmhart heißen müsse, war die Aufregung ungebrochen. Es wurde nicht nur diskutiert, ob Sturmhorst ein real existierender Name, sondern auch, ob dieser tatsächlich eintragungsfähig sei. Denn man darf zu Schutze des Kindes selbigem nicht jeden X-beliebigen Namen geben: Es müssen diverse Kriterien erfüllt sein, darunter auch das dem Namen eine negative Konnotation anhaftet oder den Träger der Lächerlichkeit preisgibt.
Ob Sturmhorst bzw. Sturmhart nun ein realer Vorname ist oder nicht, war Nebensache, denn die Kombination aus Sturm und Sieg, legte den Verdacht nahe, dass die Eltern wohl Anhänger einer ewig gestrigen Ideologie seien. (Was diese natürlich abstritten).
M/W/D ?
Bei der sorgfältigen Auswahl des Vornamens, stellt sich natürlich zunächst die Frage, welchen Geschlechts das Kind ist. Klingt erstmal logisch. Für viele Vornamen gibt es dementsprechend auch eine weibliche oder eine männliche Form, z.B. Petra und Peter. Komplizierter wird es dann mit Namen wie Kim oder Kai. Moment wird sich jetzt mancher denken: Ein Mädchen namens Kai ? Jep, das gibt’s: Kai (oder Kaia) ist die nordische Kurzform von Katharina. Oder nehmen wir Andrea… Im Deutschen eher ein Mädchenname, in Italien aber durchaus auch für Männer beliebt (z.B. Andrea Bocelli) Bis 2008 war dies tatsächlich ein Problem, da sich das Geschlecht des Trägers im Vornamen wiederspiegeln sollte. Ausweg: Vergabe eines zweiten Vornamens mit eindeutiger Zuordnung, z.B. Kai-Uwe. Nun, mittlerweile bedarf es ohnehin einer etwas flexibler Lösung, um auch alle Optionen einer nicht-binären Geschlechtsidentität entsprechend Sorge zu tragen.
Der Hauch des Bösen
Wie bereits im eingangs erwähnten Beispiel darf der Name den Träger nicht dem Spott Anderer aussetzen oder einen Bezug zum Bösen haben: Judas oder Kain, Namen zweier biblischer Bösewichter sind Tabu. Was ist also mit dem Namen Adolf ? Immerhin haben Träger dieses Namens einen doch recht blutrünstigen historischen Namensvetter, einen gewissen Adolf Hitler, der einige Millionen Menschen auf dem Gewissen hat. Aber es gibt auch positive Beispiele wie z.B. Adolf Kolping, Vater der katholischen Arbeiterbewegung. Der Name ist tatsächlich derartig zwiespältig, dass sich das Theaterstück Der Vorname von de la Patellière und Delaporte mit dieser Problematik befasst (2x verfilmt, Film & Theaterstück sehenswert!). Tatsächlich ist der Name abhängig von der Motivation der Eltern ggf. Eintragungsfähig.
Ein weiteres, allerdings weniger drastisches Beispiel: Ein Kollege, jüdischen Glaubens, dachte bei der Suche nach einem Namen für seinen Sohn über biblische Namen im weiteren Sinne nach. Dabei gefiel ihm Azrael recht gut. Bis man ihn darauf hinwies, dass Gargamels Kater bei den Schlümpfen diesen Namen trägt und auch wenn er diese Comicfigur nicht kennt, die Kinder im Kindergarten jedoch sehr wohl.
Du sollst den Namen Gottes nicht leichtfertig nennen
Und wenn wir schon bei der Bibel sind: Der Name darf keine religiöse Gefühle verletzen. Während Jesus oder Christos im Mittelmeer-Raum bei gläubigen Leuten recht beliebte Namen sind, sind diese in Deutschland nicht zulässig. Anderes Beispiel gefällig ? „Frieden Mit Gott Allein Durch Jesus Christus“ ist in christlichen Kreisen Südafrikas durchaus gebräuchlich in Deutschland ist dies jedoch nicht möglich. Missioniert wird hier nur in der Kirche.
Multifunktionsnamen ?
Ferner: Der Vorname darf kein Familienname sein. Umgekehrt ist dies allerdings kein Problem. Beispiel: Der bayrische Innenminister Joachim Hermann.1 Titel und akademische Grade sind auch keine Vornamen: Prinzessin, Lord, Doktor oder ähnliches muß man sich verdienen oder zumindest ererben.
Die Qual der Wahl
Peter oder Paul ? Wer sich nicht entscheiden kann, der nimmt eben beide, denn mehrere Vornamen sind erlaubt und in manchen Kreisen durchaus üblich, z.B. im Adel (Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg) oder im US-amerikanischen Raum als middle name. Beliebt ist hier in Verneigung vor den Ahnen, die Namen verblichener Vorfahren zu vergeben.
So trage auch ich einen zweiten Vornamen, zum Einen zu Ehren meines Urgroßvaters väterlicherseits und zum Anderen, weil man Vater sich gewünscht hat, dass ich mal Wissenschaftler werde und da sieht ein zweiter Vorname auf einer Publikation eben gut aus.
Entgegen populärer Annahme ist nicht automatisch der erste Vorname auch der Rufname; überhaupt muss man sich streng genommen auch nicht mehr auf einen Rufnamen festlegen. Der Namensträger kann sich aussuchen welchen seiner Namen er führen möchte.
Aber, bei aller Flexibilität soll man es mit der Namensvergabe auch nicht übertreiben. Während der oben genannte Herr zu Gutenberg als Angehöriger des Adels wohl gewisse Privilegien genießt (immerhin 10 Vornamen), kann das Standesamt auch beschließen, dass z.B. 12(!) Vornamen einfach zuviel sind. So z.B. geschehen im Jahr 2004: So sollte das Kind die Namen Chenekwahow Tecumseh Migiskau Kioma Ernesto Inti Prithibi Pathar Chajara Majim Henriko Alessandro erhalten, wogegen sich das Amt sperrte. Langer Rede kurzer Sinn, das Bundesverfassungsgericht wurde angerufen und gab dem Standesamt Recht, so dass die Namen Chenekwahow Tecumseh Migiskau Ernesto letzen Endes ausreichen mussten.
Kreativität in der Rechtschreibung
Nun gibt es bestimmte Vornamen auch in verschiedenen Schreibarten. Klassisches Beispiel: Thorsten oder Torsten, Günter oder Günther, Karla oder Carla bzw. besonders variantenreich Helmut, Hellmut, Helmuth oder Hellmuth… Vielleicht nicht gerade optimal, da der Namensträger seinen Vornamen mitunter in der falschen Schreibweise lesen wird, aber na gut.
Grundsätzlich besteht diese Problematik besonders bei nicht-deutschen Vornamen. Eine Jenny (Kurzform von Jennifer) hat es vielleicht noch einfach, da der Name auch in Deutschland recht verbreitet ist. Eine gesprochene Dschenni wird somit also fast immer auch als Jenny geschrieben. Umgekehrt kann allerdings auch ein Problem sein: Einer meiner Geschichtslehrer auf dem Gymnasium war nicht davon zu überzeugen, dass die Mitschülerin Jenny eine Dschenni und nicht eine deutsch betonte Ienni ist.
Um dieser Problematik aus dem Weg zu gehen verwenden nun manche Eltern Bauernschläue: Frei nach Altbundeskanzler Kohl wird alles so geschrieben wie man es spricht. Ergo: Aus einem Jonathan wird ein Jonesen, eine Michelle wird zu Mischell und bei der Schreibweise Theiler kann man nur mutmaßen, dass es sich um eine Transkription des englischen Tyler handelt.
Klingt komisch und ist auch komisch. Ein Fall aber möchte ich aber als legitim betrachten, da es mich als gebürtigem Rheinländer irgendwie anspricht: Irgendwo in Deutschland läuft ein Junge mit dem Namen Üffes durch die Gegend ! Klingt wie ein Ur-Kölscher/Ur-Rheinländischer Name, ist aber nur eine extrem seltsame Verschriftlichung des französischen Namens Yves. Logischer wäre mir da noch, ganz nach Hans-Werner Olm, der Name Iff erschienen. Aber egal… Daumen hoch für Üffes.
Schräge Vornamen
Schließlich gibt es noch Namen, da kann man sich nur wundern. Im Internet finden sich ganze Listen von merkwürdigen Namen inklusive einer Referenz zu Gerichtsurteilen, die Aufschluss darüber geben, ob der jeweilige Name tatsächlich eintragungsfähig ist und die als Nachweis dienen mögen, dass ich hier keine Märchen erzähle:
Mein absoluter Favorit ist ein Fall aus dem Jahr 1964. Also in einer Zeit als die Atomkraft noch als Zukunftstechnologie ein gewisses Ansehen genoß. Vermutlich in der Annahme, dass der Segen der Hochtechnologie auch auf den Sohnemann abfärben möge, im Sinne einer friedlichen Nutzung der Atomkraft, wollten Eltern ihren Filius Atomfried nennen, welches jedoch vom Amtsgericht Hamburg verhindert wurde. Angeblich ist der weitaus positivere Name Solarfried wieder eintragungsfähig, was letztendlich die Frage aufwirft, wie wohl der Status von Gasfried, Ölfried oder ähnlichem ist.
Andernorts war sich ein Ehepaar wohl des Schabernacks bewußt, den sie ihrem Nachwuchs angedeihen lassen wollten und realisierten ihren Wunsch durch geschickte Tarnung ihr Kind nach ihrer mutmaßlichen Lieblingsspeise zu benennen: Obwohl Matt-Eagle in den USA wahrscheinlich ein legitimer Name wäre (Matt kurz für Matthew und Eagle wie der amerikanische Wappenvogel), klingt das in Deutschland viel zu sehr nach Mettigel.
Bleiben wir bei der Thematik Vornamen und Essen… Nicht erlaubt (und das zurecht) sind Joghurt, Whiskey und Pfefferminza. Alles klar, sind ja Lebensmittel und keine Namen. Beruft man sich aber auf Pippilotta Viktualia Rollgardina Schokominza Efraimstochter Langstrumpf (oder kurz: Pippi Langstrumpf), ist Schokominza wieder möglich.
Imposante Vornamen, welche die Eigenschaften ihrer Träger beschreiben finden sich auch bei Asterix. Eine der bekannteren Nebenakteure dieses Comics ist der Fischhändler Verleihnix. Wenn auch im Comic eine lustige Bereicherung, ist dies kein legitimer Vorname. Ganz im Gegensatz zu Pumuckl (vermutlich ist der kleine Bub rothaarig)
Der Trend geht zum Zweitnamen
Aber man kann auch eine weniger permanente Lösung wählen: Nicht wenige tragen neben ihrem bürgerlichen Namen mehr oder weniger freiwillig noch einen Spitznamen (Nickname, Sobriquet, Pseudonym o.Ä.). Während der Taufname ja früher auch den Wunsch beinhaltete eine bestimmte positive Eigenschaft auf den Träger zu übertragen, verhält es sich bei dem Spitzname umgekehrt: Hier steht eine Eigenschaft des Trägers Pate für den Spitznamen, etwa das rote Haar bei obergenanntem Pumuckl. Auch beliebt: Verkürzung oder Verballhornung des wirklichen Namens: So wird z.B. aus dem Familiennamen Schmitt etwa Schmitti.
Positiv ist, dass dieser eher witzig gemeinte Name nicht irgendwo festgeschrieben ist, sondern nur mündlich überliefert wird und auch teilweise nur auf einen bestimmten Kreis von Personen limitiert ist. So kann der Fußballkumpel Atze im Berufsleben tatsächlich ein Herr Dr. Schröder sein.
Mitunter ist der Name dem Träger noch nicht einmal bekannt, da er spöttischer Natur ist und nur in Abwesenheit verwendet wird. Etwa bei Schülern über Ihren unbeliebten Lehrer. So etwa im Falle einer Grundschullehrerin meiner Schwester: Frau Krosch, der Suppenfrosch.
Anderes Beispiel ? Eine Kommilitonin an der Uni, die sich gerne Kulis ausgeliehen hat, diese aber nie zurück brachte, hatte von einem Kollegen flux den Spitznamen „Schnorro“ verliehen bekommen.
Ebenfalls verbreitete Praxis und nahezu unvermeidlich war dies in alter Zeit bei Königen und Fürsten, wie man sich recht einfach am Dresdner Fürstenzug vor Augen führen kann: Heinrich der Erlauchte, Friedrich der Gebissene, Dietrich der Bedrängte… Kein Wunder, Familiennamen waren im Mittelalter noch nicht in Mode und so bot es sich eben an, einem Friedrich von Sachsen, der besseren Unterscheidung wegen, entsprechend eines denkwürdigen Umstands in seinem Leben den Beinamen „der Gebissene“ zu verleihen.
Der Übergang zu politischen Führer, Potentaten und Revolutionären jüngerer Geschichte ist fließend: Nehmen wir zum Beispiel einen gewissen Wladimir Iljitsch Uljanow oder einen Jossi Wissarionowitsch Dschughaschvili, die sich einen nom de guerre oder Kampfnamen wählten und damit als Lenin („der von der Lena“) und Stalin („der Stählerne“) in die Geschichtsbücher eingingen. Apropos, kennen sie einen Herbert Ernst Karl Frahm? Dies ist niemand geringeres als der vierte deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, der im norwegischen Exil 1933 seinen bürgerlichen Namen ablegte, um fortan unter seinem Kampfnamen im Untergrund gegen die Nazis zu kämpfen.
Theorie und Praxis
Doch wie fühlt man sich tatsächlich mit einem ungewöhnlichen Namen ? Ich bin mit meinem kurzen, prägnanten und gar nicht so seltenen Namen sehr zufrieden. Ich kann also nur mutmaßen, wie man sich mit übermäßig kreativen Eltern fühlt… Um dies zu ergründen empfiehlt sich die Lektüre folgenden Artikels aus Der Welt: „Ich fühle mich sehr wohl als Pepsi-Carola“
Hier wurden Pepsi-Carola Krohn, Winnetou Kampmann und Philipp Pumuckl Heßler nach ihren Erfahrungen gefragt. Durchweg positiv wurden ihre Erlebnisse geschildert. Erstere genoß als lebende Reklame materielle Zuwendungen durch den gleichnamigen Getränkehersteller, Herr Kampmann vererbte den Namen sogar an seinen Sohn weiter und Herr Heßler blickt positiv auf seine Kindheit zurück, als jeder gerne mit dem Pumuckl spielen wollte.
Wie dem auch sei
Wir sehen, ein ungewöhnlicher Name kann sowohl Freud, als auch Leid sein. In jedem Fall bleibt eine solche Person namentlich sicherlich gut im Gedächtnis. Dennoch, nicht alles was möglich und oder erlaubt ist sollte man auch tatsächlich tun. Einen kreativen Spitz- oder Kampfnamen kann man sich jederzeit selbst wählen, ganz flexibel und passend zum Anlass.
- Oder mein Kollege D.W., der auch den Künstlername Kaiser Wilhelm III. besitzt. An dieser Stelle einen schönen Gruß ! ↩