Zucker… Schnelle Energie und in geeigneter Form auch Nahrung für Nerven und Seele (Schoki, Kekse & sonstiger Süßkram). Doch Zucker freut nicht nur die Naschkatze, sondern auch den Zahnarzt. Und die Kalorien (die kleinen Tierchen, die Nachts die Kleidung enger nähen). Deswegen versucht so mancher Zucker in seiner Ernährung zu reduzieren oder sogar ganz zu verbannen. Süßstoff ist das Zauberwort: Aspartam, Cyclamat, Sorbitol… Sehen wir uns also diese künstlichen Zusatzstoffe mal etwas näher an…
Der Vorteil von Süßstoffen ist, dass sie nur einen geringen Brennwert haben und auch kein Karies auslösen sollen, da die Bakterien in unserem Mund diese nicht verstoffwechseln können…
Exkurs: Karius & Bactus
Was machen die Bakterien mit dem Zucker im Mund ? Sie bauen Zucker wie Glucose (Traubenzucker), Fructose und Saccharose (Haushaltszucker) zu organischen Säuren wie z.B. Milchsäure ab. Und wie selbst Lieschen Müller weiß, kann man mit Säure Dinge auflösen… So z.B. auch unseren Zahnschmelz…
Besagte Vorteile der Süßstoffe werden auch dadurch verstärkt, dass sie um Einiges süßer sind als herkömmlicher Zucker1:
Süßstoff | Süßkraft |
---|---|
Aspartam | 200 |
Acesulfam-K | 130–200 |
Cyclamat | 30–50 |
Saccharin | 300–500 |
Sucralose | 600 |
Advantam | 13000 |
Steviosid | 200–300 |
Wenn wir also für Saccharose eine Süßkraft von 1 zugrunde legen, dann ist Aspartam z.B. 200x süßer als Zucker. Der experimentelle Süßstoff Lugdunam, der allerdings nicht öffentlich erhältlich ist, besitzt den Rekordwert von bis zu 300.000x ! Bei einer solchen Süße können diese Stoffe also in sehr geringer Konzentration eingesetzt werden, so daß ihr eigener Brennwert zu vernachlässigen ist. Dennoch ist der Brennwert einer Süßstofftablette nicht Null, da bei der Herstellung der Tablette noch weitere Zutaten involviert sind, in die der Süßstoff zur Verdünnung quasi „eingebettet“ ist. Hier mal als Beispiel die Angaben für ein gängiges in Deutschland erhältliches Süßungsmittel auf Aspartam & Acesulfam-K Basis:
Geschichtliches
Wer denkt, dass Süßstoffe eine Erfindung der neuzeitlichen Nahrungsmittelindustrie ist, der täuscht sich. Schon die Römer griffen sozusagen zu „Zuckerersatzstoffen“. Da reiner Zucker recht kostbar war (nur Honig war einfach verfügbar), griff man gerne zu sogenanntem Defrutum, eingekochtem Traubenmost.
Dieser wurde zur Verstärkung der Süßkraft in Bleigefäßen zubereitet. Die im Most enthaltene Essigsäure löst Blei an, wodurch das Salz Blei(II)Acetat erhalten wird, welches wegen seines süßen Geschmacks auch unter dem Namen Bleizucker bekannt ist. Es ist natürlich mittlerweile nicht erstaunlich, dass dies nicht gerade gesundheitsförderlich ist, da Blei ein giftiges Schwermetall ist. Dennoch blieb Bleizucker bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch, z.B. zum Panschen von saurem Wein. Ein Opfer dieser ungesunden Praxis könnte der Komponist Beethoven sein, dessen Todesursache mit solchem Wein in Verbindung gebracht wird, auch wenn dies kontrovers diskutiert wird.
Saccharin & Cyclamat – Süßer Zufall
Der erste „künstliche“ Süßstoff ist das Saccharin, welches 1878 durch den Chemiker Constantin Fahlberg entdeckt wurde, als diesem beim Abendbrot auffiel, dass seine Hände und Arme trotz vorherigen Waschens eine süße Anhaften aufwiesen, worauf dieser konstatierte:
„Es konnte kein anderer Umstand hier mitgewirkt haben, als dass ich sie mir, trotz des Waschens, von meiner Arbeit aus dem Laboratorium so mitgebracht hatte. Ich lief ins Laboratorium zurück und durchkostete meine sämtliche Becher, Gläser und Schalen〔…〕“
Das Unterfangen diesen Stoff als Zuckeralternative zu vermarkten (1/3 billiger als Rübenzucker, bezogen auf die Süßkraft), stieß natürlich auf wenig Gegenliebe bei der Zuckerindustrie, weshalb diese einen Apothekenzwang erwirkte, woraufhin der Süßstoff nur noch auf Rezept erhältlich war. Überhaupt war Saccharin nur ein mäßiger Erfolg im privaten Haushalt, da es aufgrund seiner „starken Wirksamkeit“ nur schwer zu dosieren sei und sich auch nicht zum bestäuben von Kuchen eignete. Der Durchbruch kam erst später, als bedingt durch den 1. Weltkrieg richtiger Zucker knapp wurde.
Ebenfalls eine Zufallsentdeckung ist Cyclamat. Auch hier war ein schwerer Sicherheitsverstoß im Labor Mutter der Entdeckung. Der Amerikaner Michael Sveda, eigentlich auf der Suche nach fiebersenkenden Wirkstoffen, entdeckte, dass eine auf der Laborbank abgelegte Zigarette, einen süßen Geschmack angenommen hatte. Eine etwas entschärfte Version kann man in der New York Times nachlesen:
Dr. Sveda, who once told The New York Times in an interview that „God looks after damn fools, children and chemists,“ credited providence for his discovery of cyclamates. In 1937, while doing lab work for his doctorate at the University of Illinois, he brushed his lips without having washed his hands and found that his fingers tasted sweet. Intrigued, he tasted chemicals from all the beakers in front of him and discovered the compound that he eventually refined into the sweetener.
Andererseits war das Rauchen im Labor damals nichts Verwerfliches und Geschmacksproben (wie wir schon beim Saccharin gesehen haben) durchaus an der Tagesordnung. Etwas makaber erscheinen die Geschmacksanalysen wagemutiger Pharmazeuten, wie Erich Lück in der Chemie in unserer Zeit3 berichtet:
Furchtlose Pharmazeuten unterschieden bis
Mitte des 20. Jahrhunderts die beiden extrem bitteren Naturstoffe Chinin und Strychnin am Abgang: Die Bitterkeit von Chinin ließ relativ schnell nach, während die von Strychnin auch ein Mittagessen überdauerte.
Auch wenn das Cyclamat von der Süßkraft dem Saccharin unterlegen ist, hat es einen entscheidenden Vorteil: Während Saccharin einen leicht metallischen Geschmack besitzt, ist Cyclamat frei davon. Daher werden gerne Gemische von Cyclamat und Saccharin (10:1) eingesetzt, welche die Vorteile beider vereinen. Cyclamt bzw. sein Gemisch waren dann auch die ersten Vertreter, die zum Süßen von Cola & Limonaden verwendet wurden, z.B. im ersten Diät-Getränk mit dem bezeichnenden Namen No-Cal (Man beachte die vollmundige Aussage „Absolutely Non-Fattening“ !)
Süße aus Aminosäuren
Der dritte Süßstoff, dem man im Alltag häufig begegnet ist Aspartam, einem Molekül, dass sich aus den Aminosäuren Phenylalanin und Asparaginsäure zusammensetzt. Und wieder war Kollege Zufall an der Entdeckung beteiligt, als James Schlatter an einer Synthese für das Hormon Gastrin arbeitete. Als diesem beim Versuch einen Synthesebaustein bestehend aus besagten zwei Aminosäuren mit dem Alkohol Methanol zu verestern, die Reaktionsmischung überkochte, gelangte etwas vom Reaktionsprodukt auf seine Hände. Der Rest der Geschichte dürfte bereits bekannt sein. Da die beteiligten Aminosäuren auch in unserer Nahrung gefunden werden können, ist es erst einmal nicht abwegig anzunehmen, dass ein solcher Süßstoff ungiftig ist. Dennoch sollte es zu einer hitzigen Diskussion über eine etwaige Schädlichkeit kommen…
Süßes Gift ?
Nun ist das was man daheim im stillen Kämmerlein verkostet eine Sache, wenn man jedoch einen neuen Lebensmittelzusatzstoff an die Massen verfüttern möchte eine deutlich andere. Solche Zusatzstoffe müssen nicht nur einen Zulassungsprozess durchlaufen, sondern sind immer wieder Objekt von Studien hinsichtlich ihrer Schädlichkeit.
In dem Zusammenhang kam auch mehrfach schon die Diskussion auf, ob bestimmte Süßstoffe krebserregend sind. So sahen sich die Hersteller von Saccharin und Cyclamat in den 60ern und frühen 70ern dem Vorwurf ausgesetzt, dass diese Süßstoffe Blasenkrebs bei Ratten auslösten. Bei Beiden Saccharin war man ursprünglich von ihrer Unschädlichkeit ausgegangen, da sie unverändert über den Harn ausgeschieden werden. Nun tauchten aber gerade in der Blase der Versuchsratten krebsartige Veränderungen auf.
Konsequenz des ganzen war ein Verbot von Cyclamat in den USA und ein Verbot von Saccharin in Kanada, sowie die Auflage, dass süßstoffhaltige Lebensmittel mit einem Warnhinweis zu kennzeichnen seien.
Diese Studien sind jedoch nicht unproblematisch: Zum Einen wurden die Ratten mit abenteuerlich hohen Mengen an Süßstoffen gefüttert: Den Ratten wurden täglich 2.5 g Cyclamt/kg Körpergewicht zugeführt, was auf den Menschen umgerechnet einem täglichen Verzehr von 330 Dosen süßstoffhaltiger Limonade entspricht !
Lange Rede, kurzer Sinn: Neuere Studien waren nicht in der Lage diese Ergebnisse zu reproduzieren, weswegen heute in Fachkreisen vermutlich mit Recht angenommen wird, dass diese Süßstoffe, sofern man nicht große Mengen davon zu sich nimmt unbedenklich sind.
Für das Aspartam ist die Kontroverse ähnlich, wobei auch hier die Fachwelt davon ausgeht, das Aspartam kein Krebs auslöst. Einen interessanten Nebeneffekt besitzt Aspartam aber dennoch: Studien aus den Jahren 1993 und 2014 konnten zeigen, dass bei Probanden nach einer Einnahme von 25 mg Aspartam / kg Körpergewicht eine deutliche Verschlechterung der Stimmung zu verzeichnen war ! Und da soll noch Einer mal sagen, dass Süßes gut für die Laune ist.
Ebenso wurden mehrfach Thesen aufgestellt, dass Süßstoffe zu einer Gewichtszunahme führen, obwohl weniger Kohlenhydrate aufgenommen werden (Stichwort: Blundell-Hill-Hypothese). Auch dies ist ein Thema, dass höchst kontrovers diskutiert wird. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung meint hierzu:
Die Theorie eines möglichen gewichtssteigernden Effekts von Süßstoffen wird durch die wissenschaftlichen Untersuchungen nicht bestätigt. Süßstoffe können im Rahmen von Gewichtsreduktionsprogrammen sinnvolle Hilfsmittel – ohne pharmakologische Wirkung – sein, die Energieaufnahme zu senken.4
Ein weiterer Aspekt, der normalerweise bei Pharmawirkstoffen diskutiert wird, ist die Abbaubarkeit von Süßstoffen in der Umwelt / in Kläranlagen. Viele Süßstoffe werden unverändert vom Menschen ausgeschieden und auch die Umwelt kriegt sie so schnell nicht klein. So lassen sich Süßstoffe (Saccharin, Cyclamat, Acesulfam-K) bereits in Gewässern nachweisen. Die Stiftung Warentest nahm den Nachweis von Süßstoffen als Maßstab für die Bewertung der Qualität von Mineralwässern. Kann darin Süßstoff gefunden werden, könne man davon ausgehen, dass Oberflächenwasser die Mineralquelle kontaminieren könne.
Süßstoff mal anders
Doch es muss nicht immer ein Süßstoff aus der Retorte sein… Mutter Natur hat ja auch ein reich gefülltes Repertoire an Wirkstoffen. Besonders Stevia ist in jüngerer Zeit sehr populär als „natürlicher“5 Süßstoff. Dabei handelt es sich um ein Extrakt aus der südamerikanischen Pflanze Stevia rebaudiana (auf Deutsch auch Süßkraut oder Honigkraut genannt). Obwohl Stevia bereits bei den südamerikanischen Ureinwohnern seit altersher bekannt ist und bereits in den 1970er Jahren in Japan als Süßstoff zugelassen wurde, schaffte es der Extrakt erst 2011 in Europa zugelassen zu werden.
Mit seiner Eigenschaft kein Karies zu verursachen und kalorienfrei zu sein, wird es gerne als gesündere Alternative zu Zucker und als natürlichere zu herkömmlichen Süßstoffen vermarktet. In punkto Süßkraft kann mit Stevia etwa das 350-fache von herkömmlichem Zucker erreicht werden.
Chemisch betrachtet ist dieser Extrakt ein Gemisch aus mehreren Stoffen, deren Strukturformel im Vergleich zu den bisher betrachten Süßstoffen recht barock (d.h. sehr komplex) anmutet. Die beiden wichtigsten Vertreter sind das sog. Steviosid und Rebaudiosid A. Wie es aber Naturprodukte generell zu eigen haben, kann sich die genaue prozentuale Zusammensetzung von Fall zu Fall auch ändern, was sich in teilweise stark unterschiedlichen Geschmacksnuancen äußert. So kann z.B. ein bitterer, lakritzartiger Nachgeschmack auftreten, der daher rührt, dass die Stevioside nicht nur unsere Rezeptoren für Süßes, sondern auch für Bitteres aktivieren. Daher werden kommerzielle Stevia Extrakte mit unterschiedlichsten Methoden aufgearbeitet, um den Gehalt an Rebaudiosid A zu optimieren, von dem man weiß, dass es diesen unerwünschten Nachgeschmack nicht besitzt.
Wie auch die anderen Süßstoffe ist Stevia nicht unumstritten und noch längst nicht überall zugelassen, obwohl Studien jüngeren Datums gezeigt haben, dass Stevioside, im Menschen weder erbgutverändernd noch krebserzeugend sind. Betrachtet man jedoch Nagetiere (Nierenversagen bei Hamstern) oder in vitro Studien sieht es schon wieder anders aus. Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Kontroverse, die wir für die anderen Süßstoffe betrachtet haben, sich auch hier weiter abspielen werden !
Die Wunderbeere
Ein gänzlich ungewöhnlicher Süßstoff findet man in der sogenannten Wunderbeere: Diese Beere schmeckt erst einmal relativ neutral. Erst wenn man etwas Saures zu sich nimmt, geschieht das namensgebenden Wunder: die anfängliche Säure schmeckt plötzlich süß ! Verantwortlich für dieses „Mirakel“ ist das Protein Miraculin. Dieses bindet sich zunächst an unsere Süß-Rezeptoren, ohne diese zu aktivieren. Erst wenn wir etwas Saures zu uns nehmen, also den pH-Wert in unserem Mund absenken, nimmt das Protein eine veränderte Struktur ein und aktiviert den Rezeptor. Aus Saurem wird Süßes ! Steigt der pH Wert wieder, geht das Miraculin wieder in den inaktiven Zustand über und die Süße verschwindet, bis wir wieder neue Säure zuführen. Da das Miraculin recht stark an die Rezeptoren bindet können wir uns bis zu 1 Stunde an diesem Wunder erfreuen !
Insgesamt eine attraktive Sache, die in Zukunft als Süßstoff zur Anwendung kommen könnte. Hierbei gilt es jedoch das Problem der Herstellung zu lösen, da sich das Protein auf chemischem Wege nicht (einfach) herstellen lässt. Denkbar wäre eine Herstellung mit Hilfe der Gentechnik. Ähnlich dem Insulin, könnte Miraculin von gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt werden, aus denen es dann leicht extrahiert werden könnte.
Bis es der Wundersüßstoff also käuflich zu erhalten ist, wird aber noch ein Weilchen vergehen. Bis dahin wird wohl, wie bei so vielen Dingen, beim Umgang mit Süßigkeiten (ob gezuckert oder mit Süßstoff gesüßt) Mäßigung die beste Lösung sein.
- http://www.suessstoff-verband.de/suessstoffe/verwendung/suesskraft-dosierung/ ↩
- Aus: 25 Jahre im Dienste der Saccharin-Industrie, C. Fahlberg, 1903, 5. Internationaler Kongress für Angewandte Chemie im Deutschen Reichstag Berlin. ↩
- Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 406. ↩
- http://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/suessstoffe-in-der-ernaehrung/ ↩
- Im Gegensatz zu synthetisch. ↩